Sabotage (1)

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Das kalte, weiße Licht des Zentralgestirns des Systems wurde durch die Reste eines Gasnebels, der sich bis zur Umlaufbahn des dritten Planeten ausdehnte und durch den Sonnenwind stabil gehalten wurde, zu einem weichen, hellen Blau gemildert. Je nach Dichte der Nebelschwaden variierte die Farbintensität, so dass ein Besucher der lokalen Raumstationen durchaus den Eindruck haben konnte, sich im Inneren eines tausendfach blauen Kaleidoskops zu befinden.

Dagegen bildete die von außen in schmucklosem Dunkelgrau gehaltene Station, die den siebten Planeten umkreiste, einen deutlichen Kontrast zu diesem farbintensiven kosmischen Kolossalgemälde. In scheinbar völliger Lautlosigkeit schwebte die caldarische Fabrikstation seit einigen Jahren über ihrem Stationierungsplaneten.


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An der Steuerbordseite der Station hatten die Konstrukteure die Fabriken untergebracht. In einem Außensektor dieses Fabrikabschnittes hatte auch die X-Trading Company spezielle Räume angemietet und eine vollautomatische Bandstraße installiert. Nur wenige Arbeiter überwachten hier die Produktionsautomaten.

Im 7-Minutentakt verließen die produzierten Waren die Bandstraße. Alle 21 Minuten war eine Palette beladen und wurde von einem Lastenhubwagen durch ein gepanzertes Doppelschott in den Nebenraum gebracht.

In dem matt beleuchteten, fensterlosen Raum lagen die Paletten in mehreren Etageren neben- und übereinander, getrennt durch Panzerwände. Die meterlangen Röhren auf den Paletten schimmerten matt im Halbdunkel. Scheinbar harmlos lagerte hier dutzendfacher Tod. Die Steuerflossen der GREMLINs waren noch eingezogen, aber alle Raketen bereits armiert - wenn auch ohne Zünder.


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Das blaue Leuchten des zentralen Gasnebels durchflutete auch den großzügigen Büroraum, den die X-Trading Company einem der Manager ihrer Handelsabteilung zur Verfügung stellte. Eine ganze Seitenwand wurde von einem Panoramafenster eingenommen, das den Blick auf den siebten Planeten vor dem Hintergrund des Gasnebels freigab. Davor stand, mit einer üppig bepflanzten Pergola vom restlichen Raum abgeteilt, eine Sitzgruppe, die jeder Vorstandsetage zur Ehre gereicht hätte. Insgesamt eine Oase der Ruhe.

Um so überraschender das dunkle Grummeln und die Vibrationen, die durch die Station liefen.

Theo Roose, Imperialer Magnat der X-Trading Company im Caldari Imperium, hob den Kopf und sah umher. Er hatte sich nicht getäuscht, die Blätter der Ogdilien zitterten und die blaue Blüte einer Lepandra-Rose schwankte.

Erneut und deutlicher durchlief ein Zittern den Boden, untermalt von einem dumpfen Grollen. Ein dumpfer Donnerschlag folgte und der Boden schien sich aufbäumen.

Theo Roose war aufgesprungen und hielt sich am Schreibtisch fest.

Langsam krängte die Station auf die Backbordseite. Nebelschwaden und Trümmerstücke zogen am Fenster vorbei. Am Holovisor blinkte die rote Alarmplatte des internen Alarms. Noch bevor Theo Roose sie betätigen konnte, begann das nervtötende Jaulen des Dekompressionsalarms. Die hallenden Schläge der mit der Notschaltung ausgelösten Sicherheitsschotten dröhnten durch den stählernen Leib der Station.

Theo Roose´s Hand klatschte zwar noch auf die Alarmplatte, aber er würdigte das auftauchende Bild keines Blickes mehr, sondern hastete schon zum Wandschrank, in den er seinen Raumanzug gehängt hatte. Jede Sekunde war jetzt kostbar.

Während er sich den Anzug zwängte stellte er fest, dass die Station mit leichter Schräglage zur Ruhe gekommen war. Jetzt nahm er auch den Holovisor zu Kenntnis: der interne Alarm kam aus der Raketenmontage. Einerseits erklärte das zwar die Detonation, andererseits waren die Sicherheits- und Lagermaßnahmen für den Umgang mit Explosivstoffen auf Raumstationen so restriktiv, dass es nicht zu einer Explosion hätte kommen dürfen.
Kein Zweifel - das musste er selbst überprüfen.


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"Diese Sektion ist geschlossen, Sir."

Ein stämmiger Mann im leuchtorangefarbenen Scaphander der Stationssicherheit verstellte Theo Roose den Weg.

"Ach - Blödsinn - ich muss da rein," knurrte Theo Roose und drückte den Sicherheitsmann zur Seite. Einen Moment später stand er mit schmerzender Schulter, das Gesicht an das kalte Metall gepresst, an der Wand des Korridors.

"Aua verdammt ... pass doch auf ... du drückst mir die Nase platt ..."

"Ruhig Freundchen, " raunte ihm der Wachmann von hinten ins Ohr, "sonst wirds unangenehmer. Wirst du ruhig sein, ja?" Sein rechter Arm wurde schmerzhaft weiter gegen die natürliche Gelenkdrehung gedrückt.

"Scheiße - ja, ja", keuchte Theo Roose.

"Gut Freundchen, ich lasse dich jetzt los, " sagte der Wachmann und verringerte den Druck. "Tu´ dir den Gefallen und beweg´ dich schön langsam."

Ruckartig ließ der Mann los und schien zurück getreten zu sein. Theo Roose massierte mit der linken Hand die schmerzende rechte Schulter und drehte sich um. Freundlich lächelnd lehnte der Wachmann wieder an der Tür, hatte diesmal aber einen Kombinationsschlagstock in der Hand, den er lässig - aber deutlich - an der Schlaufe kreisen lies.

"Nun Freundchen, noch einmal - diese Sektion ist geschlossen."

"Nun Freundchen, noch einmal - ich muss da rein, " äffte Theo Roose den Tonfall des Wachmannes nach und öffnete eine Außentasche des Druckanzuges.

Der Wachmann gab seine lässige Haltung auf. Mit dem Stock in die linke Handfläche schlagend kam er lauernd und herausfordernd lächelnd näher.
"Wie ... ?"

Theo Roose hob beschwichtigend die linke Hand: "Langsam, immer hübsch langsam."
Vorsichtig zog er seinen Sonderausweis für die Industriesektion aus der Tasche.
"Hier - meine Zugangsberechtigung. Mir gehört eine Fabrik in dem Sektor da vorne. Leider wohl diejenige, die es gerissen hat."
Mit ausgestrecktem Arm hielt er dem Wachmann die Plastikkarte mit dem irisierenden Hologramm hin.

Der nahm sie entgegen ohne Theo Roose aus den Augen zu lassen und trat wieder zurück.
"Hmm - scheint echt zu sein."
Er wendete die Karte hin und her.
"Ja - das Hologramm ist ok."
Der Wachmann schaute ihn an:
"Theo Roose, X-Trading Company?"

"Genau der," entgegnete Theo, "und jetzt lassen Sie mich bitte durch."

"Moment noch."
Der Wachmann führte eine Schaltung an seinem Kommunikator durch und sprach leise ins Helmmikrophon.
"Ja," konnte Theo Roose hören," ist ok. Ohne Begleitung, ja ... ok... roger out."
Und direkt an ihn gerichtet:
"Ist ok, Mister Roose. Schließen Sie Ihren Anzug. Haben Sie eine Taschenlampe dabei? Ok. Der erste Abschnitt ist unter Druck. Danach folgt der Vakuumbereich. Sie werden von der Lecksicherung abgeholt. Sorry für gerade - aber sie haben´ provoziert."

"Schon gut, schon gut." Theo Roose winkte ab. "Der Arm ist ja noch dran." Er lächelte gequält und bewegte die rechte Schulter.
"Mehr oder weniger."


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"Weiter geht´s nicht Mister Roose."

Die junge Frau war stehen geblieben und winkte ihn heran. Ihr leuchtend gelber Schutzanzug war trotz der intakten Notbeleuchtung kaum zu sehen. Nur die Reflektionsbänder an den Handgelenken hatten die Bewegung deutlich gemacht.

"Etwa 10 Meter vor uns hört der Schwerkraftbereich auf. Hier ..." sie warf ihm einen großen Karabinerhaken zu, an dem ein dünnes Stahlseil befestigt war. "An der Rettungsöse Ihres Anzugs festmachen. Ich sichere Sie. 20 Meter gebe ich Ihnen."

Im Lichtkegel seines kleinen Helmscheinwerfers beobachtete Theo Roose, wie sie das Metallseil mehrfach um einen geborstenen Stahlträger führte.

"Mister, achten Sie bitte auf die Metallsplitter. Ihr Anzug ist ungepanzert."

"Okay."

Die Arbeiterin der Lecksicherung ging ein Stück in Richtung auf die verbeulte linke Gangwand, um ihn vorbeizulassen. Theo Roose hielt sich rechts und hob das Seil über sie hinweg:
"Ich pass schon auf. Da ist ohnehin nichts zu retten."

Langsam ging Theo Roose vorwärts. Der Lichtkegel seines Helmscheinwerfers schwankte über die geschwärzten Korridorwände. Die Notbeleuchtung war kaum noch vorhanden. Splitter hatten fast alle Leuchtkörper zerstört.
Mit jedem Schritt vorwärts wurden die Verwüstungen schlimmer. Große Metallstücke waren hier offenbar durch die Wände getrieben worden und hatten alles auf ihrem Weg befindliche zerfetzt.

15 Meter.
Theo Roose hatte seit einigen Sekunden den Eindruck, dass sich sein Magen langsam hob - er kam allmählich in den Bereich mit verringerter Schwerkraft. Er schaltete die Magnete seiner Schuhe ein, denn wegen des feinen Ruß- und Metallstaubs fanden die Adhäsionssohlen des Raumanzuges keinen Halt mehr. Auf allen Raumstationen mussten für solche Notfälle Ferro-Kompositbauteile verwendet werden. Ausnahmsweise dankte Theo dem Erfinder dieser Vorschrift.
Gegen das flaue Gefühl im Magen half das natürlich nicht. Theo zwang sich dazu, ruhig zu atmen. Er wartete eine Minute und schaute sich genauer um. Seine Begleiterin hatte recht gehabt: mehr als 20 Meter Seil waren nicht erforderlich gewesen.
Vor ihm, vielleicht noch drei Meter entfernt, endete der Korridor in einem riesigen Loch. Boden und Decke waren verschwunden. Von der rechten Seite beleuchtete das durch ein Leck einfallende blaue Leuchten des Zentralnebels das Gewirr aus verbogenen Stahlplatten und Metallstreben der ehemaligen Fabrikhalle vor ihm. Er konnte zwei Sicherheitsbeamte erkennen, die sich auf Spurensuche vorsichtig einen Weg durch die Trümmer bahnten.

"Sauber nach außen weggesprengt," murmelte Theo Roose, "da ist nichts mehr zu machen."

Ein Schriftzug an der Wand erregte sein Interesse. Theo drehte den Kof und richtete den Kegel des Helmscheinwerfers auf die Reste der Buchstabengruppen.
try-Dome #1 konnte man noch erkennen. Er wischte mit der Hand den Rußbelag beiseite.
nted by: The X-Trading Co.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussah - hier war er richtig.
Hier waren 5 seiner Angestellten durch einen Anschlag ums Leben gekommen.
Er fühlte Verbitterung in sich aufsteigen.
Er würde alle Verbindungen spielen lassen, um die Mörder zu finden.


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"... kann ich Ihnen nur dringend raten, sofort mit dem Stationssicherheitsdienst Ihres Tradeposts Kontakt aufzunehmen. Die Dateien mit den Unterlagen wurden bereits an Sie gesendet und parallel auch dem hiesigen CONCORD-Bureau ausgehändigt."

JohnBe beugte sich ein wenig vor, bevor er fortfuhr:

"Nehmen Sie den Anschlag nicht auf die leichte Schulter. Die Attentäter wollen uns nicht nur mit Gewalt schädigen, die bewusste Inkaufnahme des Todes von Arbeiter ist auch ein deutliches Zeichen für ihre Skrupellosigkeit. Also - seien Sie auf der Hut und verstärken Sie die Sicherheitsmassnahmen. Die Sitzung ist beendet."

JohnBe nickte kurz in Richtung des Objektives und beendete die Konferenzschaltung mit den Imperialen Magnaten und Außenstellenleitern.

"Hoffen wir, dass wir den Sabotagetrupp schnell finden," wandte er sich dann an Theo Roose. "Die Raketenproduktion konnten wir verlegen. Unsere Freunde werden schnell herausfinden, dass sie uns wirtschaftlich nur wenig geschadet haben und sich etwas neues, größeres suchen. Leider gehört ihr Tradepost hier damit auch weiterhin zu den gefährdeten Objekten. Also Theo, halten Sie die Ohren steif - ich fliege wieder zurück in HQ."

... Fortsetzung folgt ...

© Johannes Zumbansen
aka: JohnBe (2001-2007)