"Danke, Rhonda."
Der grauhaarige und sichtlich gutem Essen nicht abgeneigte Mann blickte kurz vom Holodisplay auf und nickte der adrett gekleideten Frau zu, die einen Becher mit einem dampfenden Getränk auf seinen Schreibtisch gestellt hatte.
"Bitte - sonst noch was, John?" die Minmatari stützte sich auf den Schreibtisch und lächelte.
"Immer" grinste JohnBe anzüglich.
"Alter Spinner" gab Rhonda sein Grinsen zurück, "kümmer´ Dich lieber um die Abrechnungen der letzten Woche. Mahtroks Leute haben eine Menge Zeugs reingebracht und Shavers Produktion der Lancelot-Missile läuft auch gut."
JohnBe drehte den schweren Polstersessel wieder zum Holovisor.
"Ach ja?!" sagte er scheinbar aufgebracht und wischte mit der Hand durch das Bild. Der Nocxium-Ring glomm kurz auf.
"Schau´ Dir das hier an - schon wieder zwei Bergbaudrohnen geschrottet und eine durchgeknallt und zu einem Raubdrohnennest abgehauen ... Und das hier - die Akademie - ein Triebwerk abgefackelt und zwei Andockringe verbogen ... Und DEFENCE erst - 1.000 Schuß Wolfram-Hybrid und eine mittlere Gravitonbombe und alles nur, weil´s Obstel im Sim nicht ordentlich rumpelt ... ich werd´ noch krank in diesem Laden ..."
Der gallentische Kaufmann fuhr in einer theatralischen Geste mit beiden Händen durch seinen Haarkranz und stöhnte.
Rhonda lachte und wandte sich zur Tür.
"Armer Johnny. Trink den Tee und denk´ an was Nettes."
"Das sagst Du so," seufzte JohnBe sah Rhonda gedankenverloren nach.
Natürlich verschlang der Betrieb einer Großorganisation wie der X-Trading Company einen Teil des Betriebsgewinns. Aber alle Mitglieder trugen - jeder auf seine Weise - zu einer insgesamt positiven Bilanz bei. Hier - in der Konstellation Joyce - lag auch das HQ der Company strategisch günstig: unmittelbar an den Grenzen der Amarr und Caldari aber dennoch im sicheren Kernbereich der Föderation.
JohnBe lächelte und tippte eine neue Sequenz in das Touchpad des Holovisors.
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Ein greller Blitz brannte sich durch sein Gehirn.
Noch schneller regierte die Nanonik des betroffenen Kortikalimplantats. Das hauchfeine Gespinst sonderte auf gesamter Länge submolekulare Katalysatoren ab, blockierte Synapsen und dämpfte die Reizleitung. Dennoch zuckte der nackte Körper konvulsivisch und versuchte der Pilot instinktiv trotz der ihn umgebenden zähflüssigen Gallerte, die Hände vor das Gesicht zu schlagen.
Der Einschlag einer weiteren schweren schildbrechenden Kampfrakete warf ihn hart an die Wand der Kapsel und sandte Schockwellen durch die Gallerte. Noch einmal injizierte die Automatik einen hochdosierten Cocktail aus schmerzstillenden und angstdämpfenden Medikamenten.
BELAs Gedanken fanden wieder in geordnete Bahnen.
Er aktivierte die Notprogramme und startete eine weitere Kameradrohne zur optischen Schadenskontrolle. Der schwere Transporter der ITERON-Klasse brannte an mehreren Stellen. Die Antriebssektion war sichtbar abgeknickt und aus den Laderäumen zog das Schiff eine Schleppe aus geborstenen Containern hinter sich her.
BELA kniff die Lippen zusammen. Dieser verdammte Griefkiller hatte sein Angebot auf Zahlung eines großzügigen Wegezolls abgeschlagen.
"Ich will Feuerwerk," war sein einziger Kommentar gewesen.
"Warning - incoming missile" unterbrach der Bordcomputer seine Gedanken. "Warning - incoming missile" blinkte grellrot die Bedrohungsanzeige.
"Das war´s dann wohl", dachte BELA und aktivierte den Notruf.
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Ein lautes Krachen im Vorzimmer ließ JohnBe hochschrecken.
Durch die transparente Scheibe sah er Rhondas Stuhl auf dem Boden liegen. Rhonda warf die Tür seines Büros auf und in ihren Schrei "Notruf ..." jaulte schon der aufdringliche opto-akustische Alarm des Holovisors und das Bild wechselte.
"...Kapsel unter Feuer. Wiederhole ... BELA - Sektor Syndicate ... Griefkiller xxKILLA ... keine Company ... schießt auf mich ... auf die Kapsel ..." - ein kurzes Knacken - Rauschen ...
Flackernd verschwand das Bild.
"Scheiße," murmelte JohnBe und deaktivierte den Alarmmodus.
"Hoffentlich hat er einen guten Klon," sagte Rhonda.
"Doch," meinte JohnBe, "hat er. BELA ist da vorsichtig. Aber ... was mich stört ... das ist schon der 2. Kapselkill von diesem xxKILLA an einem X-Trader. Und nun ist es genug."
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"... und deswegen beantrage ich, GIDEON einzusetzen."
JohnBe schaute noch einmal in die Runde der Direktoren und nahm wieder Platz.
"Gideon?", fragte Tollpan.
"Hmm - Du bist noch neu in dieser Runde. Also: Gideon ist eine mythologische Figur. Er führt das Schwert Gottes und übt Vergeltung. Tödliche Vergeltung. Bei DEFENCE gibt es 4 spezialisierte Piloten, die Gruppe GIDEON. Auf besonderen Ratsbeschluss führt diese Gruppe Podkills aus. Die Geldbuße des Exekutors bezahlt die Company. Sollte er irgendwo Nachschubprobleme bekommen, helfen wir natürlich auch. Die Namen der Piloten kennt nur Obstel, offiziell gibt es GIDEON nicht."
"Ok - gute Sache."
"Also, meine Herren:
JohnBe beantragt einen GIDEON-Einsatz gegen den xxKILLA.
Stimmen wir ab. Wer für JA ist ..."
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"Die Wanze war ihr Geld wert," dachte Phedaikin und öffnete den KomKanal zur Gang.
"Ich habe ihn, Leutz", gab er durch, "ist gerade in den Sektor gekommen."
"Alles klar, wir übernehmen," gab Gideon-1 zurück.
"Zwei - Zielsystem prüfen, drei und vier - Feuerbereitschaft."
"Jup" - "Klar" - "Ok" kamen die Bestätigungen.
Gideon-1 nickte und übernahm die Steuerung der Gang. Dicht gestaffelt in Angriffsformation rasten sie los, die Speicherbänke randvoll - jeder ein Spezialist und einzeln nicht sonderlich gefährlich, aber als Team tödlich präzise.
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xxKILLA rief gelangweilt die Umgebungsinformationen ab.
"Nichts los heute," dachte er und ließ die Gatlings bei abgeschalteter Munitionszuführung einige Sekunden lang leer drehen. Das dumpfe Brummen der Transformatoren und Speicherbänke, das Stakkato der Verschlüsse - ein geiles Geräusch. Zufrieden streckte er sich behaglich in seinem warmen Pod.
Die Bedrohungsanalyse riss ihn aus der angenehmen Lethargie. 4 Fregatten waren in seiner unmittelbaren Nähe aus einem Aufrissspalt getreten. Er checkte die Werte:
Entfernung: 5.000 - schnell abnehmend, Company: X-Trading Company.
"Mist, X-Trading Company. Das war doch dieser BELA - oder so ähnlich ... ," erinnerte sich xxKILLA.
Entfernung: 3.000 und sinkend - xxKILLA riß die Nachbrenner auf, aber die 4 Fregatten blieben an ihm dran. Er schaltete die führende Fregatte auf und hörte, wie sich die Türme drehten.
Nur Sekunden später registrierte er, dass er selbst doppelt anvisiert wurde - und im gleichen Moment verlor seine Zielautomatik den Kontakt.
"... weg hier," denken und den Warpantrieb aktivieren waren eine Handlung - aber das Triebwerk zündete nicht.
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"Warpstörer steht - zwei bis vier - Statusmeldung", forderte Gideon-1.
"Zwei - Zielstörer steht."
"Drei - feuerbereit."
"Vier - feuerbereit. Bring uns näher ran - unter 1.500."
"Hier eins - is´ nich´, bin auf Maximum. Also: drei und vier - Gang lösen - macht ihn fertig - Podkill."
"Yessir."
Mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete Gideon-1, dass sich die Jagdfregatten von Gideon-3 und 4 aus der Formation lösten und mit flammenden Nachbrennern vorpreschten.
"Eins an alle - Energie noch höchstens 1 Minute."
"Ok".
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xxKILLA stellte mit steigender Panik fest, dass ihn jetzt alle 4 Fregatten aufgeschaltet hatten. Er öffnete den Systemkanal:
"Hey - lasst den Scheiß."
"Vergiss es," antwortete eine ruhige Stimme. " Wir haben Dich gebeten, die Podkills zu unterlassen. Wer nicht hören will, muss fühlen."
"Incoming missile," quäkte der Bordcomputer dazwischen und auf dem Außenscreen waren die heranrasenden Schildkiller zu sehen. Deren Trägerfregatte ließ sich jetzt sichtbar zurückfallen.
Dichtauf hinter den Raketen flog jetzt noch eine einzelne Minmatar-Jagdfregatte.
Das Schwert Gideons.
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"Vier - bin dran."
"Eins - ok - Energie noch 15 Sekunden."
"Vier - reicht."
Die Schildkiller detonierten in einem gleißenden Feuerwerk, Entladungen zuckten über den Schutzschild, grelle Überschläge krachten in die Hülle des Griefkillers. Mit jaulenden Stabilisatoren und Gyroskopen hielt der Zielfolgecomputer Gideon-4 auf Kurs. Erbarmungslos maß der Bordcomputer ständig die Schildstärke des Gegners und mit dem letzten Aufzucken des Schildes röhrten die schweren Gatlings auf und jagten ihre Projektile aus abgereichertem Uran mühelos durch die Panzerung tief in die Eingeweide des Ziels.
Schon nach weniger als einer Sekunde wechselte die Waffenautomatik die Munitionszuführung und in die tiefen Schusskanäle der Wuchtgeschosse fetzte jetzt eine Salve Spreng-Brand. Nur Zehntelsekunden später - noch vor deren Einschlag - zwang der Hauptcomputer Gideon-4 in eine High-G 360°-Kurve.
Gideon-4 beobachtete, wie die Fregatte von xxKILLA in einer Explosionswolke verschwand.
"Eins an vier - Podkill."
"Ausführung - bin wieder im Anflug."
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Gideon-1 und 2 hatten Warp- und Zielautomatik-Störer abgeschaltet und flogen ohne Antrieb, um die Speicherbänke möglichst schnell wieder aufzuladen. Gideon-3 schloss mit einfacher Marschfahrt zu ihnen auf.
"Dreckige Arbeit so was," meinte er über den internen KomKanal.
"Ja," sagte Gideon-1, "du hast Recht. Aber es ist ja auch die absolute Ausnahme und ich vertraue dem BoD, dass sie uns nur auf Griefkiller ansetzen."
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Ein kurzes Aufflackern spiegelte sich auf den vier Schiffen.
Und das Schwert Gideons wurde wieder niedergelegt.
© Johannes Zumbansen
aka: JohnBe (2001-2007)